Bitte nicht streiten?

Loblied auf den Konflikt

Manche Unternehmen scheinen sich als konfliktfreie Zone zu verstehen, zu der Streithähne keinen Zutritt haben. Aber hat diese Strategie Aussicht auf Erfolg? Und: ist es überhaupt eine Erfolgsstrategie? Bitte nicht streiten? Konflikte genießen gemeinhin keinen guten Leumund, was nicht wundert, sind sie doch meistens lästig, oft belastend und bisweilen gar beängstigend. Manche Unternehmen erblicken in Konflikten deshalb eine bloße Störung des Betriebsfriedens und wollen sie am liebsten ganz von der Agenda streichen.

 

Beachten und Bewältigen

Das ist verständlich – soweit es um die Eskalation von Konflikten geht, den verletzenden Streit, in dem scharf geschossen wird und dauerhafte Narben bleiben. Aber solchen Eskalationen entgegen zu wirken, erfordert aktives Konfliktmanagement. Und das wiederum setzt voraus, dem Konflikt einen angemessenen Platz im Unternehmen einzuräumen: als eine normale Begleiterscheinung menschlichen Miteinanders, die durchaus nicht immer schädlich sein muss und die konstruktive Ursachen und produktive Folgen haben kann.

 

Muss es gleich ein Loblied sein?

Selbstverständlich dürfen auch die Risiken nicht unterschlagen werden und in ein Loblied auf den Konflikt muss man deshalb nicht einstimmen. Doch vielleicht könnte es manchem Unternehmen helfen, der gefährlichen Verdrängung von Konflikten entgegenzuwirken und die kreative Kraft, die Konflikte entfalten können, besser für seine Zwecke zu nutzen.

 

1. Fazit: Unternehmen, die anerkennen, dass Konflikte zum Geschäft gehören, schaffen mehr Spielraum für die Konfliktlösung. Konflikte beginnen mit Kleinigkeiten

Was ist eigentlich ein Konflikt? Menschen neigen dazu, das Extreme in ihrer Erinnerung zu speichern: Der blendende Jahrhundertsommer oder der katastrophale Börsencrash graben sich ins Gedächtnis, während der gemäßigte Normalzustand, die Mittellage, in Vergessenheit gerät. So ist es auch im Fall von Konflikten: Der laute Krach, die nicht enden wollende Krise oder der hinterhältige Kampf prägen sich ein und formen sein Bild. Aber solche Verschärfungen markieren nur die Spitze des Eisbergs. Auch die dramatische Auseinandersetzung beginnt im Kleinen, hat ihren Anfang in einer spontanen, häufig unbewussten Reaktion.

 

Konflikte gehören dazu

Wo immer Menschen mit unterschiedlichen Tendenzen tatsächlich oder vermeintlich aufeinander stoßen, treiben Konflikte ihre Wurzeln. Meist regt sich zunächst nur ein unbestimmtes Gefühl des Unbehagens: Irgendetwas läuft hier anders als es sollte … Dieses konfliktträchtige Unwohlsein lässt sich nicht kontrollieren, weder vom Betroffen selbst noch vom Arbeitgeber. Konflikte sind unvermeidlich, weil sie zum Leben gehören wie Bedürfnisse, Erwartungen und Interessen zum Menschen und Missverständnisse zur Kommunikation. Die Frage ist deshalb nicht, ob es Konflikte in einem Unternehmen gibt, sondern allein, wie ein Unternehmen mit ihnen umgeht.

 

2. Fazit: Die Entstehung von Konflikten ist nicht kontrollierbar – wohl aber die Bewältigung. Spannende Gegensätze im Unternehmensinteresse

Konflikte bergen Gefahren, eröffnen aber auch Chancen und sind nicht selten Voraussetzung für Fortschritt. Bewegung ohne Reibung gibt es nicht und wo Strom fließt, sind Widerstände zu überwinden – physikalische Gesetzmäßigkeiten, die auch im menschlichen Miteinander gelten. Hätten Menschen Auseinandersetzung stets gescheut, wäre die Welt noch immer eine Scheibe, regiert von Provinzgöttern, denen die Stifter der großen Weltreligionen nichts entgegengesetzt hätten. Zugegeben, nicht immer verfolgen streitbare Menschen konstruktive Ziele. Aber viele Ziele wären ohne Engagierte, die bereit waren, für ihre Sache zu streiten, in weite Ferne gerückt. Ohne den Sturm auf die Bastille säße mancher Unternehmenslenker heute nicht auf dem Chefsessel in der Zentrale, denn auch die Chancengleichheit – unabhängig von Stand und Geburt – musste erstritten werden. Zu hoch gegriffen für den Unternehmensalltag? Auch wenn Entwickler das knappe Budget für neue Produkte beanspruchen, während die Verkäufer für mehr Werbung werben oder wenn der Betriebsrat sich um die Anliegen der Mitarbeiter sorgt, während der Vorstand die Aktionäre im Blick hat, gilt der (manchmal konfliktreiche) Wettbewerb um Ideen und Ziele, Investitionen und Zuständigkeiten dem Wohle des großen Ganzen, nur eben im Unternehmensmaßstab. So gesehen sind hitzige Debatten auch ein Zeichen für Mitarbeiter, die noch Feuer haben und den Mut dazu, für ihre Ideen einzutreten. Ihre streitbaren Positionen schrecken aus gewohntem Trott auf, bringen Themen auf den Tisch, die sonst um des lieben Friedens willen unter den Teppich gekehrt würden und fordern von Verantwortlichen klare Positionen statt lauer Lippenbekenntnisse.

 

3. Fazit: Konflikte können Dinge voranbringen – wenn die Konfliktkultur es zulässt. Es gibt keine unnötigen Konflikte

Aber natürlich dreht sich nicht jeder Konflikt um Fragen von Unternehmensinteresse. Häufig stehen kleine und manchmal auch kleinliche private Interessen dahinter. Bisweilen bricht Streit um bloße Banalitäten oder des Kaisers Bart aus. Von der konstruktiven Wirkung der Konflikte kann dann kaum die Rede sein. Und doch haben auch solche Auseinandersetzungen ihre Bedeutung und Funktion.

 

Die Betroffenen entscheiden über die Bedeutung

Ihre Bedeutung gewinnen sie durch den Stellenwert, den die Beteiligten dem Streitpunkt zumessen. Ob für das von zwei Mitarbeitern genutzte Büro arktische oder tropische Temperaturen angemessen sind, das mag der Vorgesetzte für eine der Fragen halten, die die Welt nicht braucht. Doch er tut gut daran, dem Konflikt seine Existenzberechtigung nicht abzusprechen. Nicht nur, weil sich Eintracht nicht diktieren lässt und es deshalb zur Führungsaufgabe gehört, Mitarbeiter aktiv aus Konflikten zu führen. Auch, weil er sich selbst schaden könnte: Die Auseinadersetzung, die ihm banal scheint und deshalb nicht kümmert, könnte irgendwann einmal auch in den Ergebnistabellen erscheinen, hinter denen er sich verschanzt hat, denn schwelende Konflikte breiten sich oft aus, ziehen Unbeteiligte hinein und vergiften schleichend die Atmosphäre des Umfelds.

 

Druck muss entweichen

Auch die Funktion von Konflikten sollten Unternehmen und ihre Verantwortlichen nicht unterschätzen. Wo sich Spannung, aus welchen Gründen auch immer, aufbaut, wirkt eine spontane Auseinandersetzung, und sei es um nichtige Anlässe, oft wie ein Blitzableiter. Danach steigen Konzentration und Motivationen wieder an. Natürlich darf daraus weder ein Dauerzustand werden, noch sind Grenzüberschreitungen tolerierbar – aber ein reinigendes Gewitter ist allemal besser als andauerndes, zähes Reizklima. Dürfen Konflikte nicht offen ausgetragen werden, wandern sie in den Untergrund, wo sie im Verborgenen wirken. Es gärt unter der glatt polierten Oberfläche und häufig ist der Ausbruch um so heftiger, desto länger der Konflikt unterdrückt wurde. Oder er mündet in kaltem Krieg und das ist meist die noch größere Gefahr: unerbittlich, aber unter Wahrung aller Formen der Höflichkeit arbeiten Kollegen gegeneinander und unterminieren das Miteinander im Betrieb.

 

4. Fazit: Organisationen, die den Konfliktstoff in ihren Reihen ignorieren, geben die Kontrolle über die Konfliktbewältigung aus der Hand. Unternehmenskultur bestimmt die Vorzeichen

Es herrscht also nicht deshalb Harmonie im Haus, weil ein Unternehmen Konflikte ignoriert oder gar verpönt; Übereinstimmung entsteht erst, wenn Konflikte bereinigt werden. Und allzu viel Harmonie ist für die Entwicklung eines Unternehmens vielleicht gar nicht immer ein gutes Zeichen. Konflikte können die Suppe versalzen, aber – konstruktiv gelebt und gelöst – auch das Salz in der Suppe sein.

 

5. Fazit: Eine Unternehmenskultur, die Konflikte zulässt, die anerkennt, dass Mitarbeiter mit Potenzial auch solche mit Konfliktpotenzial sind, beugt unkontrollierbaren Ausbrüchen vor und nutzt die Konflikten innewohnenden Kräfte für die Klärung von Standpunkten und die Diskussion konkurrierender Optionen – sie wandelt, wo immer möglich, die Energien, die der Konflikt produziert, in Lösungen um.

 

Download
Loblied_auf_den_Konflikt_01.pdf
Adobe Acrobat Dokument 3.7 MB

Autor

Ass. jur. André Testrut
Wirtschaftsmediator (IHK)
Kaiserstraße 61
D-60329 Frankfurt am Main

Telefon: 069 / 27 22 76 55
E-Mail: info@sokratest.net


Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Fanden Sie ihn nützlich? Oder leider weder noch? So oder so: Wir freuen uns über Ihr Feedback!


Bitte den Code eingeben:

Hinweis: Bitte die mit * gekennzeichneten Felder ausfüllen.