Teil 1

Klug verhandeln

Auf die harte Tour: Wenn Verhandlungen zum Positionsgeragel geraten

Wo verhandelt wird, wird oft gefeilscht. In solchen „harten Verhandlungen“ sehen sich die Teilnehmer als Gegner. Sie setzen eher auf Misstrauen und meinen, sie müssten Maximales fordern, um ein Minimum zu erreichen. Derjenige, der sich von seiner Ausgangsposition weniger weit entfernen musste, mag sich für erfolgreich halten. Doch da könnte er sich täuschen. Erstens, weil Kräfte sinnlos vergeudet werden: Wer mit Maximalforderungen signalisiert, dass es so und nicht anders laufen müsse, provoziert Gegenwehr – Zugeständnisse geraten in weite Ferne. Zweitens, weil sich der Gewinner häufig nicht lange über seinen Erfolg freuen kann: Demnächst droht die Revanche des Besiegten. Drittens, weil selbst die siegreiche Partei häufig nicht bekommt, was sie braucht: Sie hat im Gerangel das ursprüngliche Problem wie auch ihre langfristigen Interessen aus den Augen verloren und verschließt sich interessanten Kompromissen, weil sie von ihren Positionen selbst nicht mehr loskommt. Ein Beispiel: Ein Freiberufler möchte einen Raum anmieten, der als Geschäftsstandort ideal läge. Der Vermieter fordert – er will ja noch Spielraum haben – eine überzogene Miete. Prompt setzt der Freiberufler dagegen und bietet einen unrealistisch niedrigen Betrag. Das Feilschen beginnt und die Verhandlung scheitert an den unvereinbar scheinenden Positionen. Das Nachsehen haben beide Seiten: Der Vermieter, weil ihn der Aufwand, einen anderen Mieter zu finden, mehr kosten wird als ein Entgegenkommen. Der Freiberufler, weil es zur günstige Lage kaum eine Alternative gibt und die Vorteile auch eine etwas höhere Miete erlauben würden. Ein offenes Gespräch hätte beiden mehr gebracht: Sie hätten sich über sachliche Kriterien für den Mietpreis unterhalten können, zum Beispiel auf Grundlage des Mietspiegels der Gemeinde. Sie hätten über kreative Lösungen diskutieren können. Vielleicht wäre der Vermieter bereit gewesen, einen Teil der Miete gegen Renovierungsarbeiten oder Dienstleistungen der Freiberuflers zu erlassen. Viel Wenn und Aber. Man weiß es nicht. Weil man nicht wirklich miteinander geredet hat.

Um die schädlichen Nebenwirkungen harten Verhandelns zu vermeiden, geben manche Menschen schnell nach. „Lieber eine Verhandlung als einen Freund fürs Leben verlieren“, scheint ihre Maxime zu lauten. Ist der weiche Verhandlungsstil der bessere? Ja – wenn man weich mit flexibel, freundlich und fair übersetzt. Wer aber seine Interessen (und womöglich auch die anderer, deren Vertreter er ist) opfert, um nur nicht anzuecken, läuft Gefahr, von anderen wie ein Fähnlein im Wind wahrgenommen zu werden. Und bleibt – genau wie der harte Verhandler – auf der Ebene bloßer Positionen hängen, vergibt also ebenfalls die Chance, Probleme wirklich zu lösen. Nein, nett und nachgiebig zu sein, ist nicht die Alternative. Es gibt einen konstruktiven Mittelweg. Den stellt Ihnen das folgende Kapitel vor.


Fairness aus Prinzip: Ein Spiel mit zwei Siegern

Wo verhandelt wird, ist Streit oft nicht weit: Konflikte sind häufig der Ausgangspunkt einer Verhandlung und nicht selten ihre Folge: Wo mit harten Bandagen gerungen wird, gedeihen keine verträglichen Beziehungen. Wie findet man einen Ausweg aus dem Dilemma? Zunächst sollte man sich klar machen, dass jede Verhandlung zwei Ebenen hat: Auf der einen geht es um den Verhandlungsgegenstand, auf der anderen um die Art, wie verhandelt wird, die „Spielkultur“ also. Ob man hart oder weich verhandelt, ist eine Frage dieser zweiten Ebene. Ob bewusst oder unbewusst: Mit jedem Spielzug prägen die Parteien das Verhandlungsklima. Sie haben die Wahl – aber nicht nur zwischen hartem und weichem Verhandlungsstil. Sie können sich auch für eine dritte Variante entscheiden.

Das Harvard-Konzept: Mit Offenheit neue Perspektiven gewinnen
Dieses Verfahren wird „sachgerechtes Verhandeln“ genannt und beruht auf dem „Harvard-Konzept“. Es basiert auf der Erkenntnis, dass Feilschen selten zu befriedigenden Ergebnissen führt und hat zum Ziel, eine praktikable Verhandlungsmethode zu beschreiben, die zu fairen Ergebnissen führt. Damit ist kein fauler Kompromisse gemeint, sondern eine Strategie, die ein konstruktives Klima und plausible Lösungen erzeugt. Ob es gelingt, hängt natürlich auch vom Gegenüber ab. Doch man kann ihn positiv beeinflussen – und es ihm schwer machen, das Feilschen fortzusetzen. Indem man nämlich konsequent den vier Prinzipien des Harvard-Konzepts folgt:

  1. Das Zwischenmenschliche hat Vorrang: Beziehungsfragen müssen vor Sachfragen geklärt werden.
  2. Hinter Positionen verbergen sich Interessen. Sie gilt es aufzudecken, denn sie sind der Schlüssel zu Lösung.
  3. Interessen lassen sich auf ganz unterschiedliche Art befriedigen. Es gilt, die ganze Bandbreite der Einigungsmöglichkeiten zu entwickeln, die von beiderseitigem Nutzen sein könnten.
  4. Wenn sich Interessengegensätze nicht auflösen lassen, muss die Einigung auf neutralen Kriterien basieren.


Phase 1: Methode Mensch – Gefühle aus dem Untergrund holen

Führungskräfte verstehen sich gern als rationale Manager, die sich von sachlichen Erwägungen leiten lassen. Aber auch Manager bringen Bedürfnisse und Gefühle mit in die Verhandlung. Sie wünschen sich Erfolg und Wertschätzung. Und reagieren auf Enttäuschungen mit Ärger und Abwehr. Beginnt eine Verhandlung mit einer belasteten Beziehung oder verschlechtert sich die Beziehung während des Verhandelns, hilft nur eine Unterbrechung, denn wo vermeintlich Sachfragen diskutiert werden, haben in Wahrheit längst Gefühle das Kommando übernommen.

Klare Beziehung – Klare Sache
Das „Problem Mensch“ besteht in Verhandlungen also darin, dass die persönliche Beziehung unbemerkt die Sachebene beeinflusst. Solange es auf der Beziehungsebene vor Spannung knistert, werden auch hier die Funken sprühen. Erst nachdem der persönliche Konfliktstoff bereinigt ist, besteht Aussicht auf eine sinnvolle Einigung über den Verhandlungsgegenstand.

Drei Grundbegriffe helfen, mehr Ordnung ins Dickicht des emotionalen Untergrunds von Verhandlungen zu bringen: Vorstellungen, Kommunikation und die Gefühle, die sie auslösen.

Widerstreitende Vorstellungen
Sie haben Vorstellungen, welcher Verhandlungsverlauf und welches Ergebnis für Sie günstig oder ungünstig wäre? Der andere auch! In diesem Spannungsfeld gerät die Beziehung der Verhandlungspartner leicht zwischen die Fronten. Um so besser Sie verstehen, welche Wünsche und Werte, Hoffnungen und Befürchtungen Sie von Ihrem Gegenüber trennen, desto besser können Sie darauf reagieren. Ob Sie die Einschätzungen des anderen teilen, spielt keine Rolle. Sie sind Realität, einfach deshalb, weil Ihr Gegenüber sie in die Verhandlung mitgebracht hat. Sie mit Geringschätzung zu übergehen, trägt eher dazu bei, sie zu verstärken. Stellen Sie also Ihr Urteil zurück und versuchen Sie, sich an seine Stelle zu versetzen: Was bewegt ihn? Welche Motive sind hinter seinen Forderungen zu erkennen? Wenn Sie die Beweggründe erkennen und wertfrei ansprechen, hat ein klärendes Gespräch über die Missstimmung eine Chance.

Knackpunkt Kommunikation
Selbst Menschen, die sich seit Jahrzehnten kennen, haben mit Missverständnissen zu kämpfen. Sprache ist so launisch wie die wechselnden Stimmungen von Menschen. Ob die Botschaft den Empfänger so erreicht, wie sie gemeint war, hängt oft von Kleinigkeiten ab. Es liegt vor allem an drei Problemen, dass der Pass in der Kommunikation oft nicht ankommt:

  • Missverständnisse durch Vorurteile
    Ein Gesprächspartner bescheinigt dem anderen, dessen Vorschlag sei „so nicht annehmbar.“ Was meint er mit „so“? Dass der Vorschlag eine Zumutung ist, die er kategorisch ablehnt? Oder dass er ihn grundsätzlich bejaht, aber über die Details noch zu sprechen ist? Man müsste es aufklären – tut es häufig aber nicht. Man ahnt ja schon, wie (negativ) es gemeint war.
  • Viele Sprecher – keine Zuhörer
    Ob in Diskussionen oder Verhandlungen: Zuhören fällt schwer. Oft ist man, während ein anderer redet, schon damit beschäftigt, in Gedanken eine Entgegnung zu formulieren – und bekommt gar nicht so genau mit, was der andere gerade sagt.
  • Reden für die Galerie
    Wo die ersten beiden Kommunikationsprobleme auftreten, ist das dritte nicht weit: Die Gesprächspartner bemühen sich nicht (mehr), verstanden zu werden, sei es, weil er den Verständnishorizont seines Zuhörers nicht berücksichtigt oder den Gesprächspartner (und andere Zuhörer, vor allem die aus den eigenen Reihen) beeindrucken, statt mit plausiblen Argumenten überzeugen will.

Und wie umkurvt man diese Stolpersteine? Vor allem folgende Mittel und Methoden haben sich bewährt:

  • Aktives Zuhören
    Hören Sie aufmerksam zu – und geben Sie Rückmeldung, was Sie verstanden haben: „Verstehe ich Sie richtig, dass …?“ Scheuen Sie sich auch nicht, eine längere Ausführung zu unterbrechen, wenn Sie Verständnisprobleme haben. Ihr Gesprächspartner wird zu schätzen wissen, dass Sie sich bemühen, ihm zu folgen.
  • Zugewandt reden
    Bemühen Sie sich um Verständlichkeit. Stellen Sie sich vor, der Verhandlungspartner sei ein Kollege, mit dem Sie gemeinsam eine Entscheidung treffen müssen – das gelingt nur, wenn der Informationsaustausch klappt. Dazu sollten Sie sich genau überlegen, welches Ziel Sie verfolgen, was Sie also Ihrem Gegenüber verständlich machen möchten. Danach sollten Sie sich durch Rückfragen vergewissern, wie er Sie verstanden hat.
  • Ich-Botschaften
    „Ich fühle mich im Stich gelassen, weil ...“ – das nennt man eine Ich-Botschaft. Das Gegenteil davon ist eine Du-Botschaft: „Du hast dein Wort gebrochen!“ Der Unterschied ist klein, aber fein, denn wer von sich redet, also bei sich selbst bleibt, provoziert weniger Abwehr. Wer im Gegenteil dem anderen ein Werturteil so überstülpt, als wäre es eine erwiesene Tatsache, muss mit Gegenwehr rechnen.

Gefühle
Wenn negative Gefühle aufkommen, geraten Verhandlungen in emotionale Turbulenzen oder in ein frostiges Klima – und in der Sache lässt sich nichts mehr kontrolliert bewegen. Denn die Auswirkungen von Ärger oder Enttäuschung auf die Verhandlungsführung sind nicht zu unterschätzen:

  • Misstrauen stellt sich ein: Der Betroffene vermutet bei seinem Gegenüber unlautere Hintergedanken. Was ihm in einer unbelasteten Situation ein Nachdenken oder Nachfragen wert wäre, wehrt er jetzt schnell ab.
  • Missverständnisse entstehen: Wenn negative Gefühle im Spiel sind, fällt die Auslegung von Informationen entsprechend negativ aus. Ist zum Beispiel Argwohn entstanden, wird ein sachlich gemeinter Hinweis schnell als Vorwurf verstanden.
  • Kompromisse sind ausgeschlossen: Der Betroffene nimmt strikte Standpunkte ein – nicht, weil es keine sachlichen Alternativen gäbe, sondern weil ihn Unmut leitet.
  • Resignation täuscht Einigkeit vor: Mancher, der sich schlecht behandelt fühlt, gibt auf, statt zu kämpfen. Dann mag eine Einigung schnell zustande kommen – aber sie verschlechtert die Beziehung.

Eine beispielhafte aber nicht vorbildliche Verhandlungsführung ohne Beziehungsklärung: Ein Unternehmen mit zwei Standorten, die jeweils einer der beiden Gesellschafter führt, gerät wegen einer Marktflaute in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Das ganze Unternehmen ist betroffen, doch Standort B, wo ein neuartiges Produkt vertrieben wird, in besonderem Maße. Dessen geschäftsführender Gesellschafter 2 sieht sich nun mit immer dringlicheren „Spar-Appellen“ konfrontiert. Klar, Kostensenkung ist ein Thema – aber bitte keine Belehrungen mit erhobenem Zeigefinger. Und überhaupt: Soll doch Standort A bei sich beginnen, schließlich werden da auch keine schwarzen Zahlen mehr geschrieben. Gesellschafter 1 gerät angesichts der Abwehr seiner Ratschläge und der zunehmend stärker empfundenen Ohnmacht in Rage und fordert, nachdem sich die Kommunikation vom persönlichen Gespräch auf den Mailaustausch verlagert hat, per Anwalt die gesellschaftsrechtliche Trennung der Standorte. – Dieser Fall stammt aus der Praxis. Die Gesellschafter sind Brüder, die schließlich versucht haben, die Verhandlung durch Einschaltung von Familienmitgliedern zu retten. Familien mögen für vieles gut sein – dafür, Sach- und Beziehungsfragen voneinander zu trennen, sind sie es selten. So endete der „Familierat“ in einer Eskalation. Fünf Jahre herrschten zwischen den Mitbrüdern und -gesellschaftern, nachdem sie die Standorte provisorisch, aber rechtlich ungenügend voneinander abgespalten hatten, Schweigen. Erst in einer anschließenden Wirtschaftsmediation, in der zunächst die Beziehungsfragen geklärt wurden, fanden sie in der Sache eine gütliche Lösung.

Emotionale Querschläger: Beobachten und Beseitigen
Fünf Jahre Schweigen und ungeklärte Verhältnisse: Es lohnt sich, gestörten Beziehung in einer Verhandlung Aufmerksamkeit zu schenken. Dafür muss man Störungen der Beziehung aber erst einmal erkennen: Beobachten Sie genau, wo – bei Ihnen und Ihrem Verhandlungspartner – Gefühle das Spiel bestimmen. Und dann sollten Sie, um das Stimmungstief aufzulösen, ...

  • ... Ihre Gefühle aus- und die des Gegenübers ansprechen. Zugegeben, das kostet Überwindung, weil Gefühle in Verhandlungen keinen Platz zu haben scheinen. Doch sie sind Tatsachen. Sie zu ignorieren ist nicht professionell. Es geht auch nicht darum, alle Tiefen einer Beziehung auszuloten. Entscheidend ist allein, dass die Verhandlungspartner Störungen beseitigen, die einem befriedigenden Verhandlungsergebnis im Wege stehen. Es muss auch nicht zur Gefühlsduselei werden. Wenn Sie etwas „empört“ hat, könnten Sie „Irritationen“ thematisieren – das klingt sachlicher. Nutzen Sie, um mehr von der Gefühlslage des anderen zu erfahren, offene, neutrale Fragen, die ihm Spielraum beim Antworten lassen. Fragen Sie also zum Beispiel nicht: „Was macht Ihnen Angst?“ Fragen Sie: „Gibt es auf Ihrer Seite Befürchtungen, die wir berücksichtigen sollten?“ So nähern Sie sich langsam dem Kern der Emotionen.
  • ... dem Verhandlungspartner gestatten, Dampf abzulassen. Das kann unangenehm sein, bringt die Sache aber voran, denn wenn der Druck weg ist, lässt sich vernünftiger miteinander reden. Wichtig ist, dass Sie selbst in dieser Phase ruhig bleiben – sonst schaukeln sich die Gefühle auf.
  • ... mit symbolischen „Friedensgesten“ die Lage entspannen. Eine Bekundung von Sympathie, ein Zeichen des Verständnisses, eine Entschuldigung – damit verbauen Sie sich nichts in der Sache, lösen aber die Anspannung.

 

Autor

Ass. jur. André Testrut
Wirtschaftsmediator (IHK)
Kaiserstraße 61
D-60329 Frankfurt am Main

Telefon: 069 / 27 22 76 55
E-Mail: info@sokratest.net


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